Wenn beide nicht wissen, wie ihre Körper funktionieren – Dating mit 35+

Paar Mann und Frau, liegen im Bett. Der Mann liegt auf der Seite und schläft, während die Frau nachdenklich ins Leere schaut.

Michael kommt nicht. Laura weiß nicht, was sie braucht. Beide scheitern – nicht an fehlender Anziehung, sondern an fehlender Körperkompetenz.

Das Kennenlernen

Michael, 41, und Laura, 38, lernen sich über eine Dating-App kennen. Er ist sympathisch, attraktiv, kommunikativ. Sie ist offen, warmherzig, interessiert. Nach drei Wochen Schreiben und zwei Dates steht fest: Da ist Chemie. Beide sind auf der Suche nach einer ernsthaften Beziehung. Beide wollen endlich ankommen. Und beide tragen unausgesprochene Ängste mit sich.

Michael hat eine Sorge, über die er nie spricht: Er kommt beim Sex mit Partnerinnen nicht zum Orgasmus. Allein, mit Pornografie, funktioniert es – nach langer Zeit, mit viel Konzentration. Aber nie mit einer Frau.

Laura hat sich arrangiert: Sie kommt selten. Sie weiß nicht genau, was sie braucht. Sex ist etwas, das sie „für ihn“ macht. Ihre eigene Lust? Ein fernes Konzept.

Beide wissen nicht, dass genau diese beiden Körper-Biografien sie zum Scheitern verurteilen werden.

Der erste Sex – Das Scheitern

Als sie das erste Mal miteinander schlafen, ist die Anspannung greifbar.

Er spürt den Druck, nicht zu versagen. Sie spürt den Druck, „genug“ zu sein.

Während des Sex merkt Michael: Es funktioniert nicht. Die Erektion ist da, aber der Orgasmus bleibt aus. Er strengt sich an, versucht sich zu konzentrieren, doch nichts passiert. Laura merkt, dass etwas nicht stimmt. Sie versucht mehr, anders, schneller. Nichts hilft. In ihrem Kopf beginnt die Abwärtsspirale: Ich bin nicht attraktiv genug. Ich mache etwas falsch. Ich bin das Problem.

Irgendwann geben beide auf.

Keiner sagt etwas. Beide tun so, als wäre alles in Ordnung. Sie liegen nebeneinander, schweigen, jeder gefangen in seinen eigenen Gedanken. Später, nachdem Laura gegangen ist, masturbiert Michael allein – mit Pornografie, wie immer. Es dauert lange, aber es funktioniert.

Laura liegt zu Hause im Bett und fühlt sich leer. Enttäuscht. Unzulänglich.

Die Beziehung endet, bevor sie begonnen hat. Nach zwei weiteren halbherzigen Treffen hört der Kontakt einfach auf.

Das Kernproblem – Fehlende Körperkompetenz

Mit 41 ist das kein Spiel mehr. Frauen wollen Kinder. Das Projekt „Kind“ wartet nicht. Wenn es im Bett nicht funktioniert – und sei es, weil BEIDE nicht wissen, wie ihre Körper funktionieren – ist man raus.

Niemand hat ihnen je gezeigt, wie Intimität jenseits von Leistungsdruck entsteht.

Was bei Michael erst in der Therapie klar wird:

Sein Körper ist an visuellen Reiz gewöhnt – jahrelanger Pornokonsum hat seine neuronalen Bahnen konditioniert: Orgasmus funktioniert nur mit Bildschirm und mechanischer Stimulation. Ohne Video: keine Erregung. Dazu kommt der sogenannte „Death Grip“ – seine Hand ist beim Masturbieren zu fest, und keine Partnerin kann diesen Druck replizieren. Sein Penis hat sich daran gewöhnt, eine echte Vagina fühlt sich einfach zu wenig an.

Aber das eigentliche Problem liegt tiefer: Michael weiß nicht, wie sein Beckenboden funktioniert. Er weiß nicht, wie Atmung Erregung steuert. Er bewegt sich beim Sex mechanisch, nicht aus der Mitte heraus, sondern „von außen“. Und dann ist da dieser Leistungsdruck – „Ich MUSS kommen“ – der genau das verhindert. Sein Nervensystem ist im Kampf-oder-Flucht-Modus. Orgasmus braucht Entspannung, die hat er nicht.

Was bei Laura erst in der Therapie klar wird:

Laura hat keine Selbstkenntnis über ihren eigenen Körper. Sie weiß nicht, was sie braucht: Klitoris? G-Punkt? Welcher Rhythmus? Sie hat es nie herausgefunden, weil Sex immer „für ihn“ war. Diese Konditionierung sitzt tief – kulturell, biografisch, unbewusst verankert als People-Pleasing-Muster.

Sie sagt nicht „langsamer“, „anders“ oder „mehr hier“. Sie erträgt, statt zu lenken. Ihr Beckenboden? Zu schlaff oder zu verkrampft? Sie weiß es nicht, weil sie ihn nicht bewusst spürt. Ihre Atmung ist flach, oberflächlich, nicht entspannt – und das blockiert Erregung, bevor sie überhaupt entstehen kann.

Beim Sex zusammen:

Beide sind im Kopf, nicht im Körper. Beide kommunizieren nicht – Fragen wie „Wie geht’s dir?“ oder „Was brauchst du?“ werden nicht gestellt. Beide stehen unter Leistungsdruck: Er denkt „Ich muss kommen“, sie denkt „Ich muss ihn befriedigen“. Das Resultat ist Sex als Pflichterfüllung, nicht als Lust.

Sie scheitern nicht an fehlender Anziehung, sondern an fehlender Körperkompetenz.

Zwei Wege – Therapie

Monate später landen beide unabhängig voneinander in meiner Praxis. Beide mit unterschiedlichen Eingangsfragen, aber demselben Kernproblem: Ihr Körper funktioniert nicht so, wie sie es sich wünschen.

Die Beispiele sind fiktiv, aber sie verdichten Erfahrungen aus meiner therapeutischen Arbeit mit Menschen, die unter verzögertem Orgasmus, Anorgasmie oder den Folgen von Pornokonsum leiden. Besonders häufig sehe ich diese Muster bei Singles mit 35+, die im Dating-Druck stehen und merken: Es funktioniert nicht. Menschen, die ihren Körper beim Sex nicht spüren können. Die Sex als Leistung erleben, nicht als Lust. Und die mit dem Gefühl leben: „Es muss jetzt klappen – aber es klappt nicht.“

Michaels Weg

Phase 1: Fundament

In der Anamnese wird schnell klar: „Dein Körper ist nicht kaputt. Er hat nur nie gelernt, ohne visuellen Reiz zu erregen.“

In der Therapie trainieren wir gemeinsam die Beckenschaukel und ich übe mit Michael Pranayama ein – bewusstes Atmen, tief in den Bauch, nicht flach in die Brust. Das ist die Basis. Nicht sexy. Nicht spektakulär. Aber fundamental.

Die Hausaufgabe: Jeden oder jeden zweiten Tag zuhause üben, täglich 10 Minuten. Michael lernt seinen Beckenboden überhaupt erst zu spüren. In den Therapiesitzungen reflektieren wir: Wie fühlt es sich an? Wo spürst du den Beckenboden? Was passiert mit deiner Atmung, wenn du erregt bist?

Phase 2: Körperkompetenz aufbauen

Jetzt übe ich mit Michael einen Yin Yoga Flow für das Sakralchakra ein. Lange gehaltene Positionen, die den Beckenraum öffnen. Nicht um esoterisch zu sein, sondern um Lust natürlich zu aktivieren – OHNE Porno.

Hausaufgabe: Zuhause praktizieren, jeden oder jeden zweiten Tag. Michael beginnt zu spüren: Wo sitzt Erregung in meinem Körper? Wie fühlt sich eine volle Erektion wirklich an, wenn ich präsent bin? In der Therapie reflektieren wir seine Erfahrungen.

Phase 3: Orgastische Welle

Jetzt wird’s präzise: Ich baue die orgastische Welle mit in den Yin Yoga Flow ein – VOR Shavasana (der Endentspannung). Michael liegt auf dem Rücken und macht Beckenbodenbewegungen, wie bei der Beckenschaukel, nur im Liegen. Diese Bewegung simuliert die optimale Bewegung beim Sex: Das Becken kippt vor und zurück, der Beckenboden aktiviert sich rhythmisch.

Es geht darum, neue neuronale Verknüpfungen zu schaffen. Erregung aufbauen. Spüren. Ohne Druck, ohne Ziel. Nicht um zu kommen, sondern um den Becken- und Beckenbodenbereich zu trainieren. Der Körper lernt: So fühlt sich natürliche Erregung an – aus der Mitte heraus, nicht mechanisch von außen.

Hausaufgabe: Zuhause üben. In der Therapie: Reflektieren, justieren, Fragen klären.

Phase 4: OM-Meditation und Masturbation neu lernen

Theoretisch besprechen wir in der Therapie die OM-Meditation (Orgastische Meditation) – Zeit statt Ziel. Und wir besprechen, wie Michael die Masturbation mit der orgastischen Welle im Yin Yoga verbinden kann: Mit Pranayama, Beckenbewegung, Stöhnen.

Und ja – jetzt auch beim Porno. Aber anders: Richtiges Atmen. Bewusste Beckenbewegung. Stöhnen, um die Energie fließen zu lassen. Hausaufgabe ist es, das zuhause zu praktizieren – jeden oder jeden zweiten Tag.

Und plötzlich: Es braucht weniger Druck mit der Hand. Es ist entspannt. Der Körper hat gelernt: Orgasmus entsteht nicht durch Kraft, sondern durch Präsenz.

Der Durchbruch: Orgasmus nach kurzer Zeit, ohne Porno, mit voller Erektion. Michael weint.

Endresultat:

Nach einigen Monaten – jeder braucht seine individuelle Zeit – hat Michael eine neue Partnerin. Sex funktioniert. „Heute brauche ich kein Yoga mehr VOR dem Sex. Mein Körper WEISS jetzt: Wie ich atme, wie ich mich bewege, wie ich präsent bin.“

Lauras Weg

Phase 1: Selbsterkenntnis

Wir beginnen tiefenpsychologisch: „Warum ist Sex ‚für ihn‘?“ Laura erkennt das Muster – People-Pleasing, tief verankert seit ihrer Jugend. Im Psychodrama arbeiten wir mit dem „kulturellen Atom“: Wessen Stimme sagt „Du bist nicht wichtig“? Die Mutter? Die Gesellschaft? Ex-Partner?

Diese Phase braucht Zeit. Jeder Mensch ist individuell. Wir reflektieren in den Therapiesitzungen, was sich zeigt.

Phase 2: Körper spüren

Jetzt wird’s körperlich: In der Therapie trainieren wir gemeinsam Beckenschaukel + Bauchatmung. Ich übe mit Laura einen Yin Yoga Flow ein, der den Sakralbereich öffnet.

Hausaufgabe: Zuhause üben, jeden oder jeden zweiten Tag. Laura lernt ihren Beckenboden bewusst zu steuern – anspannen, entspannen, spüren. Lust darf entstehen. Lust darf sein. In der Therapie reflektieren wir: Was spürst du? Wo sitzt die Blockade? Was verändert sich?

Phase 3: Herausfinden, was SIE braucht

Theoretisch besprechen wir in der Therapie die orgastische Welle – allein, für sich. Laura bekommt die Hausaufgabe, zuhause zu erforschen: Was fühlt sich gut an? Klitoris? Penetration? Beides? Masturbation ohne Druck, ohne Ziel, einfach nur um zu erforschen. Keine Performance. Keine Bewertung.

In den Therapiesitzungen reflektieren wir: Was hast du herausgefunden? Was brauchst du? Was fühlt sich gut an?

Phase 4: Kommunikation

Jetzt üben wir Kommunikation: „Ich brauche…“, „Mehr hier…“, „Langsamer…“. Wir besprechen Sensate Focus (mit ihrem neuen Partner): Berührung ohne Ziel. Nur spüren. Nur sein. Laura lernt, ihre Bedürfnisse zu benennen und einzufordern.

Endresultat:

Nach einigen Monaten – jeder braucht seine Zeit – hat Laura einen neuen Partner. Sie kann sagen, was sie braucht. „Ich kann jetzt sagen: ‚Langsamer‘, ‚Mehr hier‘, ‚Stop‘. Zum ersten Mal weiß ich, was ICH brauche. Und Sex ist nicht mehr nur für ihn.“

Das Endresultat

Das Ziel war NICHT lebenslanges Yoga vor Sex.

Das Ziel war Körperkompetenz: Der Körper hat gelernt, wie Lust funktioniert. Dann geht’s von selbst. Spontan, ohne Vorbereitung, frei. Auch mit Porno (bei Michael) oder spontan (bei Laura): „Ich entscheide, nicht mein Körper.“

Die zentrale Erkenntnis: Sie scheiterten nicht an fehlender Anziehung, sondern an fehlender Körperkompetenz. Niemand hatte ihnen je gezeigt, wie Intimität jenseits von Leistungsdruck entsteht.

Was wäre, wenn…

Was wäre, wenn Michael und Laura sich NACH ihrer Therapie getroffen hätten?

Er hätte sagen können: „Ich brauche manchmal Zeit. Lass uns langsam machen. Und ich sage dir, wenn ich nah dran bin.“

Sie hätte sagen können: „Ich brauche mehr Klitoris-Stimulation. Und ich sage dir, was funktioniert.“

Beide hätten GEREDET statt probiert und geschwiegen.

Vielleicht wären sie heute zusammen. Vielleicht sogar Eltern.

Aber so ist das Leben: Manchmal treffen sich Menschen zur falschen Zeit. Und dann braucht es Heilung, Zeit, und jemanden, der zeigt: Du bist nicht kaputt. Du hast nur nie gelernt, wie dein Körper funktioniert.

Die gute Nachricht: Körperkompetenz ist erlernbar. Nicht in drei Wochen. Aber in Monaten. Mit Geduld, Präsenz und der richtigen Begleitung. Jeder Mensch braucht seine individuelle Zeit.