
„Warum schaut er mir nicht in die Augen, wenn wir uns lieben?“
Diese Frage höre ich oft in meiner Praxis in Waiblingen. Sie kommt von Paaren, die sich lieben, aber aneinander vorbeireden. Ein Partner ist neurodivergent – autistisch oder hat ADHS – der andere neurotypisch. Zwei Welten, die sich manchmal fremd sind, obwohl beide das Gleiche wollen: echte Verbindung.
Was bedeutet neurodivergent?
Neurodivergenz beschreibt Menschen, deren Gehirn anders funktioniert: Autismus mit intensiver Wahrnehmung und dem Bedürfnis nach Vorhersagbarkeit, ADHS mit intensiven Emotionen und Aufmerksamkeitsbesonderheiten, oder Hochsensibilität mit tieferer Verarbeitung von Sinneseindrücken. Diese neurologischen Unterschiede prägen auch, wie Menschen Liebe zeigen und empfangen.
Wenn Liebe übersetzt werden muss
Sarah aus Fellbach erzählt, dass ihr Partner zwei Stunden lang begeistert über Computerchips redet und sie sich dabei vergessen fühlt. Michael aus Schorndorf ist überfordert, wenn seine Freundin sagt „Wir sollten mal wieder was unternehmen“ – aber nicht erklärt, was, wann und wo.
Diese Missverständnisse entstehen aus unterschiedlichen neurologischen Verarbeitungsmustern. Info-Dumping ist für neurodivergente Menschen Ausdruck von Begeisterung, nicht Selbstverliebtheit. Vage Andeutungen sind für Menschen mit Autismus oft verwirrend. Das Double Empathy Problem zeigt: Beide Seiten tun sich schwer damit, die andere Wahrnehmungswelt zu verstehen.
Besonders komplex wird körperliche Nähe: Während Thomas aus Waiblingen beim Sex die Augen schließt, weil visuelle Reize ihn überfordern, sind andere Autisten stark visuell orientiert und brauchen Licht für Erregung. Traditionelle Geschlechterrollen funktionieren oft nicht, wenn beide Partner gleichberechtigt agieren wollen.
Neue Wege der Verbindung
Klare Kommunikation ist der Schlüssel: Statt „Wir könnten mal was machen“ besser „Hättest du Lust, Samstag um 14 Uhr ins Museum zu gehen?“ Neurodivergente Liebessprachen werden oft übersehen: Parallel Play (gemeinsam im Raum sein ohne direkte Interaktion), Info-Dumping als Ausdruck von Begeisterung, oder Deep Pressure durch feste Umarmungen, die das Nervensystem beruhigen.
Lisa aus Winnenden führte feste Redezeiten ein: „Jeden Sonntag hat jeder 15 Minuten ungestörte Redezeit. Das hat unsere Kommunikation revolutioniert.“ Bei Meltdowns – neurologischer Überlastung, nicht Trotz – helfen Vorwarnsignale, Rückzugsmöglichkeiten ohne Schuldgefühle und spätere Reflexion.
Sexualität: Ehrlicher als gedacht
Viele Kommunikationsthemen betreffen auch neurotypische Menschen, werden aber nie angesprochen. Neurodivergente Direktheit führt zu ehrlicheren Gesprächen über sensorische Bedürfnisse: Brauche ich mehr oder weniger Licht, Berührung, Intensität? Gleichberechtigung statt Rollenklischees hilft beiden Partnern. Klare Signale verhindern Missverständnisse.
Das Besondere: Neurodivergente Menschen sind oft loyaler, direkter und weniger von oberflächlichen Spielchen beeinflusst. Wenn die Kommunikation stimmt, entstehen außergewöhnlich stabile Langzeitbeziehungen – oft stabiler als viele neurotypische Partnerschaften.
Schwäbische Herausforderungen
Die schwäbische Kultur bringt eigene Schwierigkeiten: Beruflicher Leistungsdruck in Automobilindustrie oder IT überfordert schnell, während Partner nicht verstehen, warum erfolgreiche Arbeitstage zu völliger Erschöpfung führen. Kulturelle Veranstaltungen wie Volksfeste mit Lautstärke und sozialen Erwartungen werden zur Belastungsprobe. Die Mentalität des „sich nicht so anstellens“ macht es schwer, über Überforderung zu sprechen.
Gleichzeitig fehlen spezialisierte Beratungsangebote für neurodiverse Beziehungen völlig.
Professionelle Begleitung bei Coaching Keck
Als neurodivergente Person und Sozialarbeiter (M.A.), tiefenpsychologisch fundierter Suchttherapeut und Heilpraktiker für Psychotherapie verstehe ich beide Seiten neurodiverser Beziehungen. Ich kombiniere tiefenpsychologische und körpertherapeutische Ansätze, die durch Psychodrama und Traumatherapie erweitert und durch Yoga und Meditation gestärkt werden.
Statt Schema-F entwickeln wir individuelle Strategien für Einzelpersonen und Paare. Wir arbeiten an Kommunikation, die beiden gerecht wird, Verständnisarbeit über neurodivergente Besonderheiten und praktischen Ansätzen für Intimität. Dabei geht es nicht darum, sich zu ändern, sondern sich zu verstehen.
Hoffnung für neurodiverse Liebe
„Heute weiß ich: Mein Mann liebt mich nicht weniger, weil er mir nicht in die Augen schaut. Er liebt mich anders – und das ist genauso echt“, sagt Anna aus Remseck.
Liebe braucht nicht immer die gleiche Form, um echt zu sein. Neurodivergente Menschen lieben oft intensiver und ehrlicher – nur eben anders als gesellschaftliche Normen es erwarten..